open fragments

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4.3.06

The place you go to die

Nach den Reaktionen auf die ersten Beiträge und einigen Gespräche mit den Leuten vor Ort hatte ich mir vorgenommen, in Zukunft etwas andere Beiträge zu verfassen. Nach den letzten Tagen und Stunden fehlt mir allerdings die positive Stimmung, um einen angemesseneren Text zusammen zu stellen. Sorry, Leute.
Um gleich die Verwirrung bezüglich der Überschrift aufzuklären – das war eigentlich eine unter sehr viel Lachen erfahrene Information, die aber nicht ganz gesichert ist. Ich wollte – nach einer externen Anregung – herausfinden, ob das Wort „Kilombero“ (as in „Kilombero River“) eine besondere Bedeutung hat. Die Befragten haben kapituliert, dafür habe ich netterweise erfahren, was „Ifakara“ bedeutet. Richtig, siehe Titel. Auf meinen fragenden Blick hin kam die Ergänzung, dass es den Namen (so die Übersetzug stimmt) auf Grund der gesundheitlichen Probleme in der Gegend erhielt. „It used to be some kind of death sentence to be sent here, with all the disease and swamps and stuff.“ Man beachte die Verwendung der past tense. Warum ich trotz der guten Vorsätze einen so plakativen Satz als Titel verwende? Wahrscheinlich, weil er zur Stimmung und zum Inhalt des restlichen Beitrages passt.
In meiner Freizeit führe ich lange Gespräche, in denen immer wieder die falsche Wahrnehmung von Afrika „im Westen“ betont wird. „It's all seen as some kind of hellhole: famine, death, revolution, whatever. Nobody sees the progress.“ Und wenn ich mir auch einrede, dass ich nicht dieses Bild vor Augen hatte – schließlich habe ich mich ja „hierher gewagt“, nicht? - zeigt ein kurzer Blick auf die ersten Beiträge, ein kurzes Blättern im Tagebuch sofort, worauf ich als erstes geachtet habe. Auf die Kriminalität, auf die Armut, auf die Unterschiede. Und je klarer sich dieser Schluss vor verschwimmendem Hintergrund abzeichnet, desto interessanter wird eine Frage: bin ich trotzdem oder deswegen hier?
Es ist unschwer zu erkennen, dass ich heute etwas ins Grübeln geraten bin. Der eigentliche Auslöser war vermutlich der erste längere Ausflug in die Stadt. Oder auch die Gespräche mit einigen Expats, die im Krankenhaus arbeiten. Plötzlich steht man unter Palmen, neben einem Grillrost – und in die englischen Gesprächsfäden mischen sich plötzlich schweizerdeutsche Wortwechsel. Irgendwann fällt der Strom aus, dafür leuchten Fireflies und Kerzen auf, Gesprächsthemen flackern ähnlich unruhig kurz auf, verschwinden wieder. Quasi nebenbei erfährt man einiges über die Situation im Krankenhaus, von Ärzten, KrankenpflegerInnen und Hebammen.Von eigentlich vermeidbaren Todesfällen, von Leuten, die zu spät in die Krankenhäuser kommen. Von Krankheiten die in den Lehrbüchern als behandelbar und harmlos abgehakt wurden. Und dann betont ein Arzt wieder, wie weit das Land in den letzten 40 Jahren gekommen ist. Von einer Handvoll Ärzten in den Sechzigern zum heutigen System – Irland hätte dafür ein Jahrhundert gebraucht. Es stimmt natürlich, nichts davon ist wirklich neues Wissen. Ich bin mir sicher, dass back home noch immer Plakate zu Spendenaktionen aufrufen, die ich täglich gesehen und ignoriert habe – doch erlebt man es anders, wenn man hier ist.
Keinen halben Tag später holt mich das Thema wieder ein – gerade habe ich ein neues Fahrrad gekauft, aus China importiert. Kategorie Imitat eines britischen Waffenrads, ohne Schaltung. Highlight: die Bremsen werden über ein Gestänge bewegt, ganz ohne Seile. Es gibt zwar auch (unwesentlich teurere) Moutainbikes, die aber gerüchteweise noch anfälliger für Schäden sind. Kostenpunkt: 75000TSH, plus ein paar Tausend TSH für den Mechaniker, der Licht, Bremsen und Schloss montiert – und der später vermutlich im Wochentakt die Schläuche wechseln oder sonstige Reparaturen durchführen wird.
Der kurze Ausflug führt mich danach noch weiter über den Markt, wo sich die Preise für viele Nahrungsmittel in den letzten Monaten verdreifacht haben – auf Grund der (bis vor kurzem anhaltenden) Trockenheit. Anscheinend waren die letzten drei Jahre eher trocken, inzwischen haben die meisten ihre Vorräte verbraucht. Dementsprechend werden die höheren Preise inzwischen zu einem Problem. Nicht für uns, nein. Aber möglicherweise für die Frau, die sich um zwei kränkelnde Kinder kümmert, deren Eltern an AIDS gestorben sind. Und überhaupt.
Während ich das alles nach und nach aufnehme, drängt sich immer mehr ein Gedanke in den Vordergrund: ich kenne bisher quasi nur ein kleines Paradies, hier arbeiten die Leute, sind – laut Kollegen - weitgehend zufrieden. „You have to take life as it is“. Weiter draußen in den Dörfern werde ich andere Dinge zu sehen bekommen - und ich sitze jetzt schon nachdenklich herum, neben dem Swimmingpool. Ironie ahoi!
„Noch Fragen?“ Ich gehe nicht davon aus, dass meine Reaktion auf die Umgebung hier sonderlich kreativ ist, vermutlich geht es fast jedem so. „Aufgewühlt“ beschreibt es wahrscheinlich am besten, noch ist es nichts Konkretes. Ich werde sehen, welche Empfindung sich am Ende herauskristallisieren wird. Werde ich anderen Leute Vowürfe machen, mir selbst meinen moralischen Zeigefinger entgegen strecken, alles ignorieren?
Vielleicht fange ich jetzt auch an, die Bedeutung der Frage: „Bist du zum ersten Mal in einem Entwicklungsland?“ zu verstehen, die mir regelmäßig gestellt wird. Hoffentlich geht es mir mit „Afrika ist, wenn man trotzdem lacht“ bald ähnlich.

1 Comments:

Anonymous Anonymous said...

Sehr mitreissend geschrieben... vielleicht sollte man uns allen ein Pflicht-austauschsemester in ähnlicher Gegend verordnen?

6/3/06 11:59  

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