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14.6.06

Vorschnelle Urteile

Es ist mir noch bei keinem Eintrag so schwer gefallen, einen brauchbaren Einstieg zu finden. Vielleicht, weil ich mich diesmal zwinge, etwas zu schreiben. Weil ich mit den letzten beiden Bildern nur an der Oberfläche gekratzt habe, weil ich damit etwas beschwöre, das nicht der Realität entspricht - oder von dem ich glaube, dass es falsch interpretiert wird, weil ich zuviel der eigenen Vorstellung überlasse. Das beiden Fotos von downtown beschreiben nur Nuancen des eigentlichen Themas - und sind bei weitem nicht so USA-zentrisch gemeint, wie man glauben könnte. Vermutlich sollte ich auch noch etwas mehr Zeit mit den Gedanken verbringen, sie etwas kreuz und quer durch die Gegend wälzen, um sie dann hier wirklich gezielt ausbreiten zu können, ohne Falten und Unebenheiten. Vielleicht aber auch nicht.
Es ist ein seltsames Gefühl, in den USA zu sein. Mit einer großzügigen travel allowance im Rücken, fast immer spendabel versorgt durch die jeweiligen Wissenschaftler - sei es mit einem Frühstück, von dem ich selbst in Österreich schwärmen würde, bis hin zu Abendessen in Restaurants, die eigentlich nur das Wort fancy verdienen. Mit Taxis durch die Gegend fahren, einen Sonntag Nachmittag in einer shopping mall verbringen, Abende mit live gespielter western music oder baseball matches füllen. Dazwischen? Doing science, mit Ideen herumspielen, über mögliche, zukünftige Experimente sprechen, die Arbeit der anderen sehen. Wie man Geräte baut, wie man bestimmte Probleme angehen kann, wie Lösungen ausschauen - und vielleicht tatsächlich ein paar gute Ideen einbringen. Immer wieder - nicht nur in den scheduled working sessions, sondern auch abends auf dem Heimweg, in den Wartezeiten, im commuter train nach New York - immer wieder fällt man von einem Thema ins nächste, lernt die anderen Teammitglieder besser kennen, vereinbart zukünftige Zusammenarbeit. Lernt lachend, lacht lernend - und stolpert unversehen über völlig neue, nützliche Sichtweisen.
Und dann sind da die Momente, in denen man.. falsch.. in denen ich daran erinnert werde, woher ich komme und wohin ich zurückkehre. Eine Reise, die alles in allem vermutlich etwas so viel gekostet hat, wie ich in einem Jahr in Wien verdiene. Hotels, in denen eine Nächtigung einem guten halben Jahreseinkommen in Ifakara entspricht - oder einem Jahr höhere Schulbildung. Menüs, deren Wert mich in Ifakara wochenlang gut essen lassen würde. Wieder einmal kein neues Wissen, selbst vor meiner Abreise nach Ifakara war mir das schon klar - und doch beobachte ich mich wieder einmal selbst, schaue mir auf die mentalen Finger. Was mache ich hier, wie gehe ich damit um?
Die traurige Wahrheit ist, dass ich es verdränge, dass ich den Gedanken nicht sehr nahe an mich heran lasse. Die USA, aber vermutlich auch Europa, sind für mich noch immer eine andere Welt, mit anderen Regeln und Werten, auf die ich scheinbar noch gut umschalten kann. Mein "junger" Kollege aus Kenya ist relativ erfolgreich dabei, mir einen Vergleichsmaßstab für mein Verhalten zu geben - mit interessanten Ergebnissen. Interessant genug, um mich grübeln zu lassen, trotz dichtem Programm.
Es ist faszinierend, die verschiedenen Erwartungen bezüglich der USA mit zu erleben - und auch die Resultate des reality checks. Ich war - und bin, soviel vorneweg - sehr positiv gestimmt hierher gekommen - und bin selbst auf dem Level nicht enttäuscht worden. Mich hat, insbesondere in den ersten Tagen immer ein Gedanke heimgesucht: es ist wie in Europa, wie in Österreich. Gepflegte Grünanlagen, Straßen, ruhiges Stadtleben, westliche Lebensart. Nur langsam, wenn überhaupt, sickern die Unterschiede durch. Vieles wirkt sauberer, Gebäude sind größer, der Stil ist anders - aber ich fühle mich völlig außerstande, diese Unterschiede in vollem Ausmaß zu erkennen - zu sehr hat sich die Ifakara-Brille schon über meine Wahrnehmung gelegt. Weniger auf dem Campus in New Haven, sehr wohl aber in New York wurde mir dann klar, dass es doch etwas anders ist: wenn das erste Auftauchen aus der Metro, aus den grünen Bezirken New Havens kommend, ausgerechnet in der Halle der Grand Central Station passiert, hält das Unterkiefer schon einmal für ein paar Sekundenbruchteile in seinem Kampf gegen die Gravitation inne. Dafür wandert der Kopf nach hinten und der Blick nach oben. Gewaltig ist wohl der einzige passende Ausdruck - ebenso für das Metropolitan Museum of Art und die restliche Downtown. Und doch - es ist eine Welt, in der ich mich mit fast schlafwandlerischer Sicherheit bewege, mich sofort wohl fühle. Selbst das Gedränge auf den Straßen ist kein Grund zur Unruhe, routiniert schlängle ich mich durch. Das klassische Bild vom Fisch im Wasser drängt sich auf - in Ifakara habe ich dagegen lange gebraucht, um mich dem auch nur anzunähern - und ich bin noch lange nicht am Ziel.
Das Bild vom Times Square könnte auch eines vom Stephansplatz sein, es würde keinen Unterschied machen. Die Kultur ist fast die gleiche, die Werte ähnlich - wenn man zur Abwechslung mal nicht den eigenen Standard anlegt. Und wenn man dann gleichauf liegt, sind die Menschen hier freundlicher und hilfsbereiter. Fast wie in Ifakara - und so überhaupt nicht wie in Wien.
Irgendwie ist und war der Trip hierher [ich sitze noch immer in Nashville] eine Art Rückkehr light, ein Eintauchen in die reiche Heimat auf Zeit, eine Generalprobe, um den Sitz des kulturellen Flickmäntelchens zu testen. Ergebnis? Nicht zufriedenstellend. Sechsundreißig Stunden Rückreise bis Dar geben mir hoffentlich genug Zeit zum Nachdenken.

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