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7.4.06

Anpassung

Noch keine eineinhalb Monate sind vergangen, seit ich am Wiener Flughafen den Taschentuchschwenkern den Rücken zugekehrt habe. Wenn ich jetzt auf einen Lichtschalter drücke, wandert der Blick zur Lampe, gespannt, ob sie aufleuchten wird. Verschwunden ist das gedankenlose Vertrauen in die Technik, dass ich in zwei Lebensjahrzehnten aufgebaut habe. Strom und Wasser waren bisher wie die Luft zu Atmen: immer da, wenn man sie brauchte. Allgegenwärtig, jederzeit verfügbar. Vielleicht ließ sich ein Gerät manchmal nur unter leichtem Fluchen zum Laufen bringen, wenn eine Steckdose unüberlegterweise versteckt hinter einem Schrank oder unter einem Bett montiert war, vielleicht fiel der Strom während eines Gewitters einmal für einige Minuten aus. Aber trotzdem: er war eine Selbstverständlichkeit, ein Gemeingut, eine jederzeit anzapfbare Ressource. Wie soll man sich in einem Land, in dem selbst abgelegene Berghütten an das Stromnetz angeschlossen sind, auf Tage vorbereiten, an denen es einfach keinen Strom gibt? Oder an Viertelstunden, in denen sich der Zustand der Leitung quasi im Sekundentakt von stromführend auf stromlos und wieder zurück verändert?
Meine Gewissheit, dass das Betätigen eines Lichtschalters Sekundenbruchteile später einen erleuchteten Raum zur Folge hat, wurde ersetzt durch kurze Spannungsmomente. Jedes Mal, wenn ich mich unter die Dusche stelle und den Hahn aufdrehe. Wenn ich am Laptop arbeite und die Ladekontrollanzeige im Auge behalten muss. Wenn ich eine Reihe Proben für das Photometer vorbereite und nach einer halben Stunde seufzend auf ein schwarzes Display starre, die messbereiten Proben im Rack vor mir stehend. Die Generatoren, die in eng begrenzten Bereichen für Wärme, Behaglichkeit und Energie sorgen, um einen singenden Österreicher zu zitieren, werden nicht immer eingeschaltet. Weil schon Feierabend ist, weil sie nicht funktionieren, weil das Gras grün ist. Mit einer gewissen Nonchalance lagere ich inzwischen die Proben einfach über Nacht ein, verschiebe eine Dusche um ein paar Stunden oder sitze abends eben bei Kerzenschein vor dem Schreibtisch. Wie jetzt gerade. Von draußen dringen die gewohnten Geräusche herein – abendliche Gespräche der Nachbarn, die rund um ein Feuer sitzend kochen, balzende Insekten, verwirrtes Geflügel. Das Piepsen einer ankommenden SM, dazu das leise Klicken, mit dem Käfer auf Beton fallen. Mein leise-aufgebrachtes Gemurmel, wenn wieder eine dieser fliegenden Termiten in meinem Gesicht landet, der leicht beißende Geruch von brennendem Holz. Alles vertraute Sinneseindrücke.
Selbst mit dem Mosquitonetz habe ich mich inzwischen arrangiert, weder verheddere ich mich beim Verlassen des Bettes darin, noch befreie ich mich nachts ungewollt davon. Nicht mehr, um genau zu sein. Am ersten Morgen habe ich mein Missgeschick noch nicht einmal bemerkt. Dass über mir etwas fehlte, realisierte ich erst, als ich mich auf die Seite drehte und das Netz neben mir hängen sah. Am zweiten Morgen dämmerte mir schon vor dem Öffnen der Augen, dass ich es wieder geschafft hatte. Nachdem ich den Juckreiz am Fuß erfolgreich ignoriert hatte, konnte der Tag dann trotzdem beginnen. Seitdem bin ich immer unter einem weißen Maschenhimmel aufgewacht, was, allem Vertrauen in Lariam zum Trotz, definitv zu bevorzugen ist.
Gewisse andere Rituale lassen sich einfacher anpassen. Habe ich in Wien beim Verlassen der Wohnung kurz kontrolliert, ob Ausweise, Geld und Handy da sind, gilt hier der Kontrollgriff beim abendlichen Verlassen des Hauses der Taschenlampe, dem Repellent sowie dem Schlüsselbund, wobei erstere einen besonderen Status einnimmt. Bis vor kurzem war Dunkelheit immer etwas Außergewöhnliches. keine alltägliche Situation. Im Keller, vielleicht. Sonst gab es immer Lichtquellen – Leuchtdioden und Displays von Elektrogeräten, Straßenlaternen, Scheinwerfer. Auf den Straßen hier leuchten dagegen nur die Wazungus, wenn sie auf ihren Fahrrädern unerwegs sind. Nicht, dass hier nachts niemand unterwegs wäre – die Straßen sind am späten Abend noch relativ belebt, aber alle anderen haben entweder kein Geld für die Lämpchen, kümmern sich nicht um die optische Ortung von Verkehrshindernissen oder haben das wundersame Talent, im Dunkeln sehen zu können. Die meisten Autos haben Scheinwerfer, für alles andere gibt es im Fall der Fälle auch noch die Fahrradklingel.
Am frühen Abend tragen noch die Kochfeuer ihr flackerndes Licht zur allgemeinen Beleuchtung bei, zusammen mit einzelnen Neonröhren im Umfeld des Krankenhauses, „etwas später“ (oder zu stromlosen Zeiten) versinkt dann alles in Dunkelheit. Der nächtliche Wanderer/Radfahrer wird von natürlichen Lichtquellen (wenn nicht gerade Neumond ist) oder eben seiner Taschenlampe abhängig. Und so beweget man sich dann in seiner kleinen Lichtinsel von Ort zu Ort, umrundet Pfützen, weckt bei Toren gelegentlich einen Askari mit einem „Hodi Hodi Hodi“ auf, um sich dann schlussendlich mit geschlossenem Mund durch den Insektenschwarm beim Sicherheitslicht über der Haustüre zu kämpfen.

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