Ein Paket, das per Luftfracht in Österreich verschickt wird, ist innerhalb von nur zwei Tagen in Dar. Wohlgemerkt nicht beim Empfänger – sondern gut behütet am Luftfracht-Terminal des Flughafens, laut offizieller Auskunft "zwischen dem alten und neuen Terminal" gelegen. Selbst ein ortskundiger Taxifahrer muss bei einer so genauen Angabe erst einmal suchen.
Der Wachposten am Tor zum Gelände, der im Vorbeigehen einen (skeptischen?) Blick in das Taxi wirft, fragt noch kurz, "ob wir jemanden haben, der uns hilft". Wissend, dass wir nur ein kleines 7kg-Päckchen abholen wollen, verneinen wir die Frage. Wir wollen ja keine Paletten durch die Gegend transportieren. Er hätte uns ein "Thou who pass here, let go of all hope!" entgegenrufen sollen, anstatt die eigentliche Botschaft unterschwellig im Tonfall zu verstecken.
Am Parkplatz werden wir sofort von einer Gruppe hilfsbereiter Locals umschwärmt, die uns gleich zum ersten Schalter dirigieren. Pass und Airway Bill Number werden durch das Fenster gereicht, verschwinden auf einem Stapel. Einige Minuten später findet jemand das Formular, das Paket ist tatsächlich angekommen. Ein Formular wird ausgefüllt, wandert zum Sitznachbarn hinter Fenster zwei, wird in den PC übertragen. Wir versuchen zwei Dinge gleichzeitig zu verfolgen: Manuels Kugelschreiber und meine Dokumente. Tipp, tipp. Neuer Stapel, neuerliches Warten. Von den ursprünglichen Helfern sind noch zwei übrig, die sich durch die kleine Menschenmenge drängen. Kurz mit Manuel sprechen – klar, die wollen nachher Geld. Eintausend? Aus dem ersten Formular ist inzwischen ein ganzer Stapel geworden, zwischendurch folgt ein kurzer Abstecher zum Copyshop am anderen Ende des Gebäudes. Warten. Ein paar hundert Schilling für eine Kopie des Passes und irgendwelcher Formulare zahlen. Bekannte Gesichter anlächeln, zurück zur Schalterreihe maschieren, bei Nummber 3 nach einiger Wartezeit die erste Rechnung ausfassen, das Formular ist einmal durch die Schreibtisch-Produktionslinie gewandert. Manuels Kugelschreiber ist noch in Sichtweite, dank Schweizerrot einfach zu erkennen. Ums Eck, bei der Kassiererin, wird bezahlt. Ein neues Fenster also, wieder warten. Mit der Bestätigung der Zahlung wieder zum ersten Schalter. Beobachten, wie der Formularstapel aufgehoben wird, unter einem anderen Stapel landet, irgendwann zuoberst liegt, wieder weggelegt wird. Dann etwas Beachtung findet. Mehr Formulare gesellen sich dazu, es wird mehr getippt. Ein neuer Stapel. Und noch einer. Mehr Hände – und schließlich ist er beim vordersten Fenster angelangt, wird von der bürokratischen Manufakturlinie nochmals ausgespuckt. Gebühren bezahlt, es geht weiter zum Zoll. Um die Ecke, Tür auf, Treppe – trippel, trippel – nach oben. Einen langen Gang entlang, kurz zweifeln – ist das jetzt die Sonderbehandlung für Europäer? Den Gedanken abschütteln, als bekannte Gesichter auftauchen. Am Ende des Ganges in ein Büro zu zwei älteren Damen schauen, für einige Formulare 300 Schilling zahlen. Von den Damen freundlich bestätigt bekommen, dass unsere zwei treuen Helfer gute Arbeit leisten, dann mit dem Formular (tatsächlich, nur eines – aber in fünffacher Ausführung) abziehen. Die zwei Helfer fragen kurz nach, füllen alles aus, mit unserem Kugelschreiber – Passnummer, Inhalt, Wert, auf jedem Zettel. Ein kurzes Winken - trippel, trippel – geht es die Treppe hinunter, zur Türe hinaus, zum Copyshop. Nochmal den Pass kopieren, ein paar Formulare, ein paar andere Kunden anlächeln, die uns noch immer eng auf den Fersen sind. Über den Parkplatz, Tür auf – trippel, trippel – die Treppe hinauf, den langen Gang entlang, ins Nachbarbüro. Plötzlich vor jemandem stehen, der wichtig aussieht. Neben der Tür warten, bis er fertig ist, zusehen, wie er umständlich seine Bücher zuklappt. Seine kurze Unterhaltung mit Manuel verstehe sogar ich – soviel Arbeit, so wenig Zeit. Heute wird das nichts mehr mit dem Stempel. Unbehagliches Schweigen, nicht
interpretierbare Gesichtsausdrücke seitens der Militärs in Uniform, kurze Seitenblicke von der Sekretärin. Unsere zwei Helfer haben uns alleine vorgeschickt, hier haben sie nichts verloren. Noch ein kurzer Wortwechsel, ein erneutes Blättern in meinem Pass – "Kesho." Es bleibt dabei. Auch Manuels Hinweis, dass beim nächsten Mal gleich die Leute vom Ministerium das Paket abholen werden, hat also nicht gefruchtet, ohne Residence Permit ist so eine Aussage natürlich eher unglaubwürdig. Das war sie jetzt also, die Sonderbehandlung.
Draußen dann betretenes Schweigen seitens der Helfer, sie sehen ihre Felle den Bach hinunterschwimmen. Beim Hinausgehen – trippel, trippel – versuchen sie uns allerdings noch gut zuzureden. Wir könnten mit dem Vorgesetzten sprechen, vielleicht lässt sich ja noch etwas drehen. Wir sind unschlüssig, versuchen es dann doch. Die einzige Chance ist heute – so schnell würde ich nicht mehr nach Dar kommen, am nächsten Tag sollte der Wagen bereits früh nach Ifakara fahren. Manuel hätte heute am späten Nachmittag zwar in ein Meeting sollen, verbringt die Zeit dann aber doch am Flughafen und sichert sich meine Dankbarkeit.
Wir machen die Tür zum Gebäude wieder auf, trippel-trippel, die bekannte Treppe hinauf und stolpern in Büro Nummer drei am Ende des Ganges, schildern das Problem. Die zwei anderen Damen lächeln freundlich, die Vorgesetzte ist nicht mehr da, vielleicht könnte aber noch jemand etwas machen, wir werden wieder weggeschickt, trippeln die Treppe wieder hinunter, entdecken eine Tür "Entrance prohibited", werden durchgelotst, landen wieder bei einer Frau vor einem Schreibtisch. Sie blättert kurz durch meinen Papierstapel, wirft mit den Worten "only a small package?" einen fragend-ernsten Blick auf uns, ich nicke lächelnd. Nur Repellents und persönliches Zeugs. In Gedanken bin ich längst auf den Spuren Asterixs unterwegs auf der Suche nach dem
blauen Formular. Oder doch dem rosafarbenen? Und warum habe ich auf einmal Appetit auf
gefülltes Kamel?
Plötzlich klebt ein gelbes Post-It auf meinem Papierstapel, ich wache aus meinen Träumen auf. Unsere zwei Helfer tingeln wieder hinter uns her. Richtig, es geht wieder nach oben – trippel, trippel, schlurf, die zwei dirigieren uns direkt zu Büro zwei. Der wichtig aussehende Mann verzieht keine Mine, als wir uns noch einmal durch den Türspalt in das enge Büro drücken. Von Sekretärin, Bürojunge und sonstigen Anwesenden werden wir erneut interessiert gemustert. Wieder warten wir leise, bis die sympathischen Uniformierten ihre "classified material"-Kuverts ausgehändigt bekommen haben, den Stempeln nach zur Marine gehörend. Just a small package, mdogo. Not a big deal. Er starrt kurz auf das Post-It, blättert. Tatsächlich, ist ja wirklich nur klein, 7kg. Da lässt sich etwas machen – das Gesicht bleibt ungerührt. Wir bekommen jeder einen gemütlichen Sessel angeboten, sitzen etwas im Büro herum, während er demonstrativ der extrem anstrengenden und zeitaufwändigen Tätigkeit des Absegnens irgendwelcher Bücher und Formulare nachgeht.
Eine kleine Ewigkeit später wandert seine Hand schließlich zu meinem Formular. Noch ein Blick auf meinen Pass, kurz nach dem Paketinhalt fragen, dann senkt sich der Stempel auf das Formular. Und auf die Kopie des Formulars. Und nochmal. Zurück auf das Stempelkissen, noch einmal auf das Formular. Ein letztes Durchblättern, dann werden wir verabschiedet. Freundlich. Es ist scheinbar nichts Persönliches, mehr so eine Art Sport.
Unsere Helfer sind immer noch da – wir beschließen, dass sie sich inzwischen etwas mehr Geld verdient haben. Zweitausend für jeden? Den langen Gang entlang zum Stiegenhaus, trippel-stolper, nach draußen in die Sonne, den Papierstapel in der Hand. Wohin jetzt? Klar, Schalter 1. Wieder verschmilzt der Stapel mit den anderen, schon herumliegenden Haufen. Wandert, nach oben und wieder nach unten, von Schreibtisch zu Schreibtisch – bis er schließlich auf wenige Seiten geschrumpt wieder ausgespuckt wird. Nervöse Blicke bei den Helfern, zügig geht es weiter zum.. genau, Copyshop. Wieder ein paar Kopien, danach dann endlich in die Halle, wo zügig Paletten verschoben werden. Fernseher, Waschmaschinen und Rot-Kreuz-Material, alles wandert an den wartenden Leuten vorbei. Wieder sind die bekannten Gesichter da, wir liegen trotz erschwerter Bedingungen gut in der Zeit, diesmal fällt das Lachen langsam schwer. Hat Kafka einmal Afrika besucht? Mein Pass und die Formulare verschwinden wieder einmal in einem Büro – diesmal ein kleiner Glaskasten. Minuten später sehe ich meinen Pass nicht mehr, bisher ein guter Anhaltspunkt für den Fortschritt – ich werde kurz nervös, was, wenn jemand damit durchgebrannt ist? Und wo ist eigentlich Manuels Kugelschreiber? Igendwann blitzt dann doch wieder einmal das Eu-Rot auf, weit unten in einem Haufen. Langsam wird es wirklich anstrengend, ich lasse mich in eine gewisse Apathie sinken, denke an das zurückliegende Wochenende am Strand. Je näher die Sonne dem Horizont kommt, desto zäher verfließt die Zeit. An mir wandern Kartons vorbei – Breitbildfernseher, Mixer. Rucksäcke, Koffer – unaccompanied luggage. Mehr oder weniger plötzlich wird mein Pass dann herausgereicht, zusammen mit einer neuen, leeren Seite. Warum wollen die jetzt die Autonummer wissen? Aha, für den Checkpoint. Na dann. Glücklicherweise ist unser Taxifahrer weder an einem Hitzschlag gestorben, noch hat er uns im Stich gelassen – was man ihm angesichts der Uhrzeit hoch anrechnen muss. Nach kurzer Suche finden wir ihn auf dem Parkplatz. Das Formular ist auf der Motorhaube innerhalb von Sekunden ausgefüllt, ich setze wieder meine Unterschriften an die vorgegebenen Stellen. Es geht zurück zur Halle, zu einem ehrwürdigen Mzee an einem großen Schreibtisch. Schneller Blick auf den Pass, den Formularstapel 1, das neue Formular, dann wird alles abgesegnet. Unsere Helfer (5000 für beide ist wirklich in Ordnung) finden nach ein paar Minuten auch einen Lagerarbeiter, der den Stapel 1 in Beschlag nimmt, bevor er zwischen den Regalen verschwindet. Noch eine Geduldsprobe, dann taucht er auf, in der Hand ein Paket. Mein Paket. Mit.....hm... tatsächlich. Aufklebern darauf. Blümchen und ein Garfied? Ich fange lachen an, Manuel schaut mich erst zweifelnd an, ob ich im letzten Moment noch wahnsinnig geworden bin, dann sieht auch er die bunten Punkte am Papier. Noch eine Kontrolle beim Ausgang, Formular und Paket stimmen überein, dann sind wir draußen. Manuel bleibt kurz mit dem ersten Helfer zurück, ich habe die Scheine für die beiden Helfer bereits griffbereit, als sie das Paket in den Kofferraum verfrachten. Zuerst kann ich den Satz "50000 is really much for a small package like this" nicht einordnen. Zum Glück formuliert es der Typ, der mit Manuel zum Auto gegangen ist, eindeutiger – worauf mich Manuel etwas fassunglos mit einem "Du, der will 50$?!" aus meinen Interpretationsversuchen reißt. Zurück in Ifakara werden wir erfahren, dass 50$ der übliche Tarif ist, wenn man jemanden den Auftrag erteilt, das Paket auszulösen. Wenn sie die gesamten Gebühren übernehmen (rund 20tsd). Uns schwant schon etwas in der Art, bei 15000 ist Manuels Geduld am Ende, bei mir schaut es ähnlich aus. Selbst der Taxifahrer kann nicht vermitteln. Schließlich lassen wir sie mit 16000 stehen – für gut drei Stunden Arbeit immer noch viel leicht verdientes Geld, auch wenn sie eindeutig nicht zufrieden sind.
Unsere Arbeit ist noch nicht erledigt, nach ein paar hundert Metern Fahrt stehen wir bereits wieder, diesmal in der Schlange am Checkpoint. Warten wieder einmal. Schließlich steige ich aus, wandere mit Papierstapel und Fahrer zu den Beamten. Folge ihnen wieder zurück zum Wagen. Die Uniformierte schaut in den Kofferraum, auf das Paket, lässt den Blick kurz über die Aufkleber wandern, schaut dann langsam auf mich. Ich kratze mein Swahili zusammen, sage etwas von "Mosquitorepellent", "Geschenk" und "in Ifakara arbeiten", muss allerdings ihre Frage, ob ich ein Mganga wäre, verneinen – und werde schließlich doch durchgewinkt. Mit Paket.
Manuel hat inzwischen seinen Kugelschreiber mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck in der Brusttasche verschwinden lassen – den hat er von den Helfern noch zurückbekommen, bevor die Diskussion angefangen hat.